Haltet die Gläser bereit, einen Toast auf meinen tapferen X! Auf Treffen wurde er nie beachtet, nie hat er auch nur einen Pokal gewonnen, keiner wollte je im Insider etwas über ihn schreiben. Na und? Dieses Auto ist in den vielen Jahren ein Teil meiner selbst geworden. MEIN Auto.
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1990 war der Kauf erst nur die Reaktion auf einen schweren Motorradunfall (Ein offenes Auto muss her, dafür fahre ich nie wieder Motorrad – habe ich das wirklich gesagt?) und der Tatsache, dass mein verstorbener Bruder 1973 solch ein Auto bestellt und nie bekommen hat. Ein Racheakt also? Oder doch nur frühkindliche Prägung durch das Erstserienprospekt, welches ein 4-Jähriger fast täglich unter die Nase gehalten bekommt?
Wie auch immer, das pure Glück, bzw. der „Heiße Draht“ führte mich ahnungslosen 21-Jährigen haarscharf an vielen Grotten vorbei in die Nähe von Hannover. Dort bot der Mann einer werdenden Mutter ihr Auto feil, welches er durch ein nagelneues Erdbeerkörbchen zu ersetzen gedachte – des Nachwuchses wegen.
Die mäßig verkaufswillige Eigentümerin („Ach, das ist ja doch nur ein VW...“) wurde durch ihren rigorosen Ehemann überstimmt (Anruf Mittwoch 22:30 Uhr: „Wenn Sie das Auto haben wollen kommen sie bitte nicht erst am Wochenende, sondern morgen. Ich halte dieses Gejammere nicht mehr aus!“).
Ich wollte!
1990:
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Und da stand er nun und machte mich vom ersten Moment an glücklich. Es war mir immer egal, dass ich an der Tankstelle die üblichen Sprüche bekam, dass viele sein Champagner-Metallic als die hässlichste aller Farben für den X bezeichnen, dass selbsternannte Kenner seiner Innenausstattung die Originalität absprechen. Dass TüV-Prüfer uns mit einem kräftigen „durchgefallen“ begrüßten.
Denn, was für ein Auto! Schöne, aber kühle Frühlingsabende lassen sich mit Frau, aufgedrehter Heizung und hochgefahrenen Scheiben zum Event verwandeln, laue Sommerabende mit lauter Musik und zwei Freunden auf dem Targabügel. Auch die großen Stoßstangen sind oft einigem Spott ausgesetzt, eigneten sich aber immer schon einfach wunderbar dazu, um mit einem hübschen Mädel im Arm und einem Glas Sekt in der Hand darauf Platz zu nehmen und die Nah- und Fernsicht zu genießen.
1994:
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Und Kurvenräubern! Das Geräusch, wenn nach einem kurzen Moment der Stille die zweite Vergaserstufe aufmacht und der Motor durch den offenen K&N tiiief Luft holt. Brüllend auf die 7000 zu. Immer wieder. Der Adrenalinstoß, wenn das Auto bei abschüssiger Straße in einer sich zuziehenden Rechtskurve blitzschnell ausbricht. Das Glücksgefühl, dass die Straße für die 180°-Drehung ausreichend breit war und der Gegenverkehr ein Einsehen hatte. Drei Stunden Autobahn Richtung Westen mit Liebeskummerdauervollgas bei Tacho 195. Intensiv. Fast immer.
Nähe Nordschleife:
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Nie hat er mich dabei in 25 Jahren im Stich gelassen, sogar mit defekter Kopfdichtung, defekter Lichtmaschine oder nach Motor- und Getriebewechsel zeitweise ohne Rückwärtsgang hat er mich immer noch nach Hause gebracht. Fehlerhaft in allen Teilen? Pah! Wer das sagt, kennt mein Auto nicht. Abschleppöse vorne? Neuwertig. Hinten? Gut gebraucht. Treffen wurden und werden selbstverständlich auf eigener Achse angefahren, alles andere würde ihn beleidigen.
2006 zum x-ten Mal zum OGP:
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Ein anderer Motor kam trotzdem. Weil ich zu blöd war. Vorher kam jedoch, weil ich zunächst zu wenig Zeit für die Reparatur hatte, eine Barchetta ins Haus. Ein Frauenschwarm. Hat ihr nichts genützt, sie wurde direkt verkauft als der X wieder lief. Kein Vergleich. Der originale Motor steht inzwischen auch wieder bereit, vom Fachmann getunt nun. Nur wozu? 87 PS ergab die letzte Leistungsmessung für das vermeintliche Altmetall.
Was für ein Glück auch, dass ich mit 20 Bock hatte, es auf vier Rädern im Winter richtig krachen zu lassen. Dafür war er mir dann nämlich zu schade. So wurden reihenweise Opel- und Ford-Mittelklasselimousinen mit Heckantrieb im niedrigen dreistelligen DM-Bereich angeschafft, alternativ kunterbunt oder schwarz matt gerollt, hemmungslos heruntergeritten und im Frühjahr weggeworfen.
Ablösung für den Winter 1993 steht bereit:
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Der X dankte mir die Winterpausen mit nur langsam fortschreitendem Rost. Die vorhandenen Durchrostungen, von Fiat schon vor meinem Kauf auf Basis der 6-Jahres Garantie erstbehandelt, pflegte ich Jahr für Jahr liebevoll mit Zopfbürste und etwas Lack.
Kleinere Operationen:
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Erst vor ein paar Jahren dann endlich die Revision des Unterbodens. Viel war es nicht. Dafür glänzt er unten jetzt fast mehr als oben, wo er die Kampfspuren und die zumeist mäßigen Reparaturen der Jahre mit Würde trägt. Das soll er auch. Kein Lackierer hat je die richtige Farbe getroffen. Aber geschätzte 60% Originallack sind noch dran - trotz einer Auseinandersetzung mit einem LKW.
Größere Operationen:
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Alle Frauen, die je in meinem Leben wichtig waren, haben auf dem Beifahrersitz gesessen. Inklusive der ganz kleinen.
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Nicht alle mochten den Wagen. Die Frau, die ihn mit den Worten „Oh Gott, ist der peinlich!“ begrüßte (es aber dann doch genoss offen zu fahren), war im Nachhinein betrachtet auch für mich nicht gut. Die Frauen, die ihn mochten (oder es wenigstens geschickt vorgaben), waren die besseren. Die Beste davon habe ich behalten, genau wie meinen X. Zusammen geben sie eine gute Figur ab, finde ich. Selbst auf dem Track verstehen sie sich prächtig.
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Nur einmal wollte ich ihn verkaufen, damals, als mir im Studium das Geld auszugehen drohte. Aber für 7000 Mark habe ich mich auch damals schon nicht trennen können. Ich habe ihn abgemeldet und auf bessere Zeiten gewartet. Und sie kamen!
Nun steht er also da, 30 Jahre ist er heute alt. Hat sich besser gehalten als ich. Heute hat er zum Geburtstag sein H-Kennzeichen bekommen. Er hat es sich verdient und ich auch. Zur Feier des Tages habe ich ihm außerdem die Sitze eingebaut, die ich mir vor 20 Jahren vom Munde abgespart und bei Bielstein aus dem Regal genommen habe. Die letzten neuen. Sauteuer schon damals. Sonst hat sich kaum etwas geändert, das Nummernschild des öfteren, die Felgen, die Lenkräder. Nicht viel mehr. Wäre er nicht so wie er ist, wäre er nicht mein X.
1990 und 2015:
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![Bild](http://up.picr.de/21962650tv.jpg)
Heute ist der Moment, an dem der Motor im Frühling zum Leben erwacht, noch genau wie früher. Wie ein Wiedersehen mit einem guten Freund, der lange im Ausland war. Gänsehaut. Macht man ein oder zwei Jahre X1/9-Pause, wie das mit Kindern schon mal vorkommt, wird das Starten umso mehr ein Genuss. Wird er anspringen nach über 2 Jahren? Natürlich, was für eine Frage! Inzwischen bekommt man natürlich auch sehr viel positives Feedback – selbst von TüV-Prüfern. Das freut mich, ist mir aber letztendlich ähnlich egal wie das schlechte. Ich mache es für mich.
Die Vorbesitzerin – sie hatte Tränen in den Augen – sagte damals, ich solle doch gerne noch einmal rumkommen wenn ich Lust hätte. Fahre ich dieses Jahr mal hin? Sie müsste auf die 70 zugehen. Das Erdbeerkörbchen werde ich wohl nicht mehr zu Gesicht bekommen.
Dieser X bleibt jedoch hoffentlich noch sehr lange das, was er (fast) immer war: MEIN Auto.
Es grüßt Euch
Joachim
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